Markus Geißendörfer Pfarrer, Aschaffenburg
Sehr geehrte Damen und Herren,
Beobachtungen: am Anfang möchte ich Sie mit der Entstehungsgeschichte unserer Aktion „Luther reiht nicht! Künstlerische Impulse zur ständigen Reform vertraut machen. Uns fiel auf, dass in verschiedenen öffentlichen kirchlichen Gebäuden immer noch Lutherbilder hängen. So entstand die Idee, zu untersuchen, inwieweit diese Sitte innerhalb des Luthertums noch gepflegt wird. Die ersten Versuche einer Themafindung gingen im Grunde nicht darüber hinaus, diese Bilder zu sammeln und dann in irgendeiner Weise zu transformieren. Das erwies sich als schwierig, auch, einen entsprechenden Raum zu finden, der attraktiv war und genutzt werden könnte. Bei den Überlegungen fiel uns ins Auge: Scheinbar geht die von der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) initiierte Aktion: „Reformation und Bild“ nicht darüber hinaus, Bibelillustrationen vor allem aus der Zeit der Reformation zu präsentieren und sich hauptsächlich mit Lukas Cranach zu beschäftigen. Ob wir mit dieser Einschätzung noch auf dem aktuellen Stand sind, kann ich nicht sagen. Jedoch empfanden wir (AK Kirche Kunst Unterfranken) es als bedauerlich, dass nicht der Versuch unternommen wird, nachzufragen, in welcher Weise „Reformation und Bild“ in unserer heutigen Zeit bedeutsam sein könnten.
Und so treffen sich zwei Anliegen: Wir sammeln nicht , wie ursprünglich beabsichtigt, Lutherbilder in kirchlichen Gebäuden, sondern wir fragen, ob unter Kunstschaffenden dieses Thema noch irgendeine Bedeutung hat, und wenn ja, wie es bearbeitet werden könnte. Beide Fragen, die nach der Relevanz und die nach der Form, haben noch keine Antwort und deshalb ist unsere Veranstaltung im Ergebnis wirklich offen. Oder anders ausgedrückt: Es ist gerade deshalb notwendig und wichtig, Menschen aus gestaltenden Berufen zu fragen, ob Visionierungen heute zu diesem Thema hervorgerufen werden.
Dieser Umstand macht es uns nicht leicht, eindeutige Hinweise zu geben und Erwartungen zu formulieren. Denn es handelt sich hier um Begriffe, die entweder reinem kirchlichem Vokabular entstammen wie „Rechtfertigung und Glauben“, oder die vielleicht schon abgedroschen wirken wie „Freiheit und Solidarität“ und weil sie gerne von Menschen verwendet werden, die meinen, etwas bewegen zu müssen. Denn was löst eigentlich der Begriff „Reformation“ aus? Und: Was ist Reformation? Erneuerung von etwas, was altbacken wirkt? Eine Tätigkeit, die wieder formen will, was undeutlich geworden ist? Eine Tätigkeit, die Gesicht gibt, was gesichtslos geworden ist? Eine neue Sprache für etwas finden, was nicht mehr wirklich ausdrückbar ist doch als wichtig erscheint? Wir fragen uns nach Reformation und Bild, weil es für uns selbst nicht mehr richtig greifbar ist, doch weil wir davon ausgehen, dass die Aussagen der Reformation für unsere Zeit wichtig sein könnten. Und jetzt merken wir, wie sehr beide große Kirchen diese Fragestellung angeht.
Doch warum machen wir einen solchen Feldversuch, liebe Kunstschaffenden, mit Ihren Fähigkeiten?
Für alle, die sich ernsthaft mit dem Spannungsfeld Kirche und Kunst beschäftigen gibt es eine wichtige Erkenntnis: Nicht Kirche und nicht Theologie zeigen einen Fortschritt in der religiösen Wahrnehmung, sondern es sind die Bildwerke. Selbst wenn der Protestantismus in seiner calvinistischen Ausformung eine sehr distanzierte Haltung zum religiösen Bildwerk einnimmt (nicht aber zu sonstigen Darstellungen), ist das Luthertum dagegen eher differenzierter oder moderner mit Bildern umgegangen. Luther meinte, dass Bilder an und für sich keine Macht hätten, und man selbst darüber zu entscheiden habe, ob man die sogenannte Macht der Bilder auf sich wirken lasse oder eben nicht. Johannes Calvin war hier gegenteiliger Meinung und meinte, dass Bilder die Beziehung zu Gott manipulieren, damit den Glauben verfremden und so verstören würden. Beide sind sich aber gegen die Position der spätmittelalterlichen Kirche darin einig, dass die Beziehung zu Gott nur unmittelbar, ohne irgendwelche Zwischenstufen erfahren werden kann. Und doch lässt sich eine Erkenntnis nicht wegzaubern: Die Kunst ist ein sehr viel sensibleres Seismometer als Theologie, die mit Ihrer Vermittlunsaufgabe den Erkenntnissen hinterherhinkt. Vier Beispiele für die visionöre Kraft der Kunst Als Beispiel dient Matthias Grünewald: Im Isenheimer Altar, in der Tafel der "Versuchung des Heiligen Antonius" findet sich ein Zettel unten an der rechten Ecke. Auf diesem Zettel steht die Frage geschrieben: "Wo warst du, warum bist du nicht da gewesen, um meine Wunden zu heilen?" 
Vielleicht hätte man einige Jahrhunderte vorher, nein, eigentlich bis heute diese Frage oder Anklage kurz vor dem Tod mit einem Hinweis auf moralische Verfehlungen beantwortet. Man hätte behauptet, dass Kranke aufgrund seiner Lebensführung dieses Schicksal (im Falle des Isenheimer Altars: Mutterkornvergiftung, was man damals noch nicht wusste) verdient hätte und es die Konsequenz seiner Lebensführung sei. Man hätte Gott entschuldigt und dem Menschen die Verantwortung für diese Krankheit übertragen. Doch Grünewald lässt Zynismus in Anbetracht des Leidens nicht zu. 
Er weiß zwar auch keine schlüssige Antwort, aber verweist auf den Gekreuzigten, auf die berühmte Darstellung im Mittelteil, und er hofft, wenn der Altar geöffnet ist, dass im Leid überhaupt eine Heilsgeschichte verborgen liegt. Luther fragt zur gleichen Zeit wie die Entstehung des Altars und antwortet später: Sobald ich Gott frage: Warum lässt Gott das zu? bekomme ich keine Antwort. Vielmehr muss ich auf seine Barmherzigkeit vertrauen. Der Altar im Elsass war Luther bekannt und Philipp Melanchthon hat in aufgesucht. Was Maler formulieren, wird erst später Theologie.
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